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Urkommunismus- & gesellschaft

“Die herrschenden Ideen einer Zeit sind immer die Ideen der herrschenden Klasse.“

Karl Marx

Diese von Marx festgestellte Tatsache macht vor den Wissenschaften nicht halt, wie objektiv sie sich geben mögen. Sicherlich mag es sein, dass das in den sogenannten „marktkonformen“ Fächern wie vielleicht BWL besonders offensichtlich ist. Doch auch und gerade in den Geschichts- und Kulturwissenschaften wirkt die bürgerliche Gesellschaft mit all ihrer Ideologie. Umgekehrt ist es natürlich auch der Fall.

Gerade in der Frage von Staaten und sozialer Ungleichheit sind historische Rückgriffe für die Apologet*innen des Kapitalismus besonders interessant. Die Behauptung, Kapitalismus (in der Maske der „Marktwirtschaft“) und Herrschaft wären der natürliche Zustand des Menschen, ist dabei so beliebt wie vulgär: Dabei ist die Vorstellung völlig lächerlich, ausgerechnet eine seit knapp 200 Jahren existierende Gesellschaftsformation wäre „naturgegeben“.

Dass Menschen in der Vergangenheit bereits ohne Herrschaft gelebt haben, ist einer anderen Fraktion sehr wohl bewusst: der Hobbes‘sche Gesellschaftsvertrag stellt ja gerade den Staat als die Antwort auf die angebliche unkontrollierbare Wildheit des Menschen in „freier Wildbahn“ dar.

Nun stellen wir die Frage: Was sagen marxistische (Prä-)Historiker*innen?

Der Historische Materialismus

„Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen“

Kommunistische Manifest, S. 462

…, wie das Kommunistische Manifest feststellte. Jedes Mal, wenn eine Gesellschaft an die Grenzen ihrer Produktivität geriet, brach sie zusammen oder wurde von einer neuen, effektiveren Weise der Produktion abgelöst.

„Das Sein bestimmt das Bewusstsein“: So sehr Ideologie und Kultur die Menschen in ihrem Handeln bestimmen, ist es in der Tat aber so, dass die Produktionsweise einer Gesellschaft jeden ihrer Ausdrücke bestimmt. Die Wandlung des Gottes Mars von einem landwirtschaftlichen Fruchtbarkeitsgott zum Kriegsgott ist nicht zu verstehen ohne das Wissen um den Wandel des römischen Staates von einem landwirtschaftlich bestimmten Stadtstaat zu einem expansiven Imperium. Luther und seine Reformation hätten nicht stattgefunden ohne den Aufstieg des städtischen Bürger*innentums und dessen Verlangen, der katholischen Kirche der Feudalherren den eigenen Kult entgegen zu setzen.

Der Urkommunismus

Den weitaus größten Teil ihrer Geschichte hat die menschliche Spezies in kleinen, umherziehenden Verbänden verbracht, die ihre Nahrung in den Pflanzen und Tieren ihrer Umgebung fanden. Diese in der modernen Archäologie als Paläolithikum beziehungsweise Altsteinzeit bezeichnete Epoche zeichnet sich dabei dadurch aus, dass diese jagenden und sammelnden Gemeinschaften keine ausgeprägten Hierarchien und Geschlechtertrennung kannten: der Urkommunismus.

Alle von Gesundheit und Alter Fähigen beteiligten sich an der Nahrungsbeschaffung, die in den vielen Jahrtausenden unter den unterschiedlichsten Umweltbedingungen auf die unterschiedlichste Art und Weise ausfiel. Im Großen und Ganzen ist jedoch das moderne Bild von heroisch Mammuts jagenden Männern und in der Höhle sitzenden Frauen und Kindern völlig falsch, wie auch die bürgerliche Archäologie selbst in letzter Zeit langsam aber sicher feststellt.

Die paläolithischen Gemeinschaften stellten ihre Nahrung jedoch nicht selbst her. Damit waren sie in hohem Maße von den Unbilden der Natur abhängig. Zu verschiedenen Zeiten, an verschieden Orten begann aber letztlich ein Prozess, der dies ändern sollte. Teilweise massive Änderungen der klimatischen Bedingungen führten zum Einen zur Bildung erster Hierarchien. Die teils auf der Distribution von Nahrung und den bereits existierenden Luxusgütern, teils auf religiöser Autorität basierenden chiefdoms (zu deutsch Häuptlingstümer) bildeten sich. Zum Anderen begann im Fruchtbaren Halbmond von der Levante bis nach Mesopotamien vor weit über 10.000 Jahren die erste Hege von wilden Tieren und Pflanzen, die letztlich zu Zucht und Ackerbau führen sollte.

Ein ähnlicher Prozess hat unabhängig davon zu späteren Zeiten mindestens in China und Mittelamerika stattgefunden. Von diesen Kerngebieten breitete sich die Gewohnheit, sich an bestimmten Orten permanent niederzulassen und Tiere und Pflanzen für die eigene Nahrung zu züchten, auf große Teile der Erdoberfläche aus. Das war die Neolithische Revolution, wie der britisch-australische und marxistische Archäologe Vere Gordon Childe der archäologischen Gemeinde in den Zwanziger und Dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts aufzeigte.

Hatte der Urkommunismus der Jäger*innen und Sammler*innen sein Ende in den hierarchischen Gesellschaften der Häuptlinge gefunden, gibt es Hinweise darauf, dass mit der Etablierung der produktiven, bäuerlichen Gesellschaft wenigstens in Klein- und Westasien aufgrund der vorläufig ausreichenden Produktion, wieder egalitäre Gemeinschaften durchgesetzt wurden.

Doch das Glück der relativen Emanzipation des Menschen von den Gewalten der Natur, und das auch noch im Rahmen kommunistischer Gemeinschaften, währte nicht lange. Letztlich führte die Ausweitung der neolithischen Lebensweise auf große Gebiete, teilweise mit für die Landwirtschaft ungünstigen Voraussetzungen zu einer zunehmenden Komplexität der Gesellschaften, gepaart mit immer mehr Menschen, die immer mehr Ressourcen beanspruchten. Mit der metallzeitlichen Revolution und den daraus folgenden weitläufigen Handels- und Distributionswegen wurde das Ende der egalitären Bauerngruppen eingeläutet.

Erste Staaten

Spätestens mit der Einführung der Bronze, einer Legierung aus den nicht zusammen auffindbaren Metallen Zinn und Kupfer, beginnt eine neue Zeit. Besonders in Mesopotamien und am Nil, wo das Wasser der Flüsse die einzige Möglichkeit bot, Feldfrüchte anzubauen, bilden sich Kasten von Gelehrten, von Schreibern und Priestern, die allein in der Lage sind, die Verteilung von Wasser und die rechtzeitige Aussaat sicher zu stellen, ganz zu schweigen von der Organisation des Handels und der Verteilung der landwirtschaftlichen Güter. Hiermit bildet sich zuerst eine neue, komplexe Form der Herrschaft des Menschen über den Menschen: der Staat.

Marx und Engels sprechen hier von der asiatischen Produktionsweise. Das ist nicht ganz richtig. Denn diese Form der Klassengesellschaft, die darin besteht, dass die landwirtschaftlichen Produkte von einer staatlichen Bürokratie eingezogen und verteilt werden, findet sich genau genommen in jeder höher entwickelten, urbanen Kultur außerhalb Europas und Japans. Von den Inka und Azteken Amerikas, der ägyptischen Hochkultur über die Sumerer bis zum chinesischen Kaiserreich existiert diese Gesellschaftsformation.

In Europa bilden sich im Mittelmeerraum nach dem Zusammenbruch der Chiefdoms und der Bildung erster Städte unter dem Eindruck der westasiatischen und nordafrikanischen Staaten die Sklavenhaltergesellschaften. Die attische Demokratie und die römische Republik sind nur die bekanntesten Vertreterinnen.. Knapp tausend Jahre später bricht auch diese Gesellschaft zusammen, was im Zusammenspiel mit den großen Migrationsbewegungen der sogenannten „Völkerwanderung“ ebenfalls zum Zusammenbruch nordeuropäischer Häuptlingstümer der germanischen Stämme führt. Hier ergreifen Teile der Verwaltung der Häuptlinge die Gelegenheit und schwingen sich zur herrschenden Klasse auf. Mit Karl dem Großen als prominentestem Vertreter schaffen sie den Feudalismus des europäischen Mittelalter.

Ein marxistischer Blick

Einige der genannten Punkte sind der bürgerlichen Wissenschaft nicht unbekannt: dass Staaten und Klassen eine relativ neue Entwicklung in den Jahrmillionen der Existenz der menschlichen Spezies sind, kann kaum jemand verleugnen.

Doch Marxist*innen haben aufgrund ihrer materialistischen Gesellschaftsanalyse einen besonderen Blick auf die (Ur-)Geschichte. Denn letztlich können bürgerliche Wissenschaftler*innen nur hilflos auf all diese Gesellschaften von den ersten Bauern*Bäuerinnen bis zum modernen, globalen Kapitalismus blicken. Was sorgt dafür, dass Menschen plötzlich Städte gründen, Kriege führen und Weltreiche entstehen und zerfallen? Ist es das Klima? Führt die bloße Tatsache, dass Werkzeuge aus Eisen statt aus Stein hergestellt werden, zu dramatischen Veränderungen? Oder ist es die Kultur; ändert sich das Bild eines Gottes, dass seine Anhänger*innen haben, sodass sie plötzlich ihre Gesellschaft ganz anders gestalten?

Das Wissen um die Klassen und ihre Kämpfe hilft Marxist*innen letztlich, die internen Dynamiken und Widersprüche einer Gesellschaft zu verstehen. Im schlimmsten Fall postuliert die bürgerliche Wissenschaft eine Geschichte der „großen Männer“, die menschliche Zivilisation vorantreiben. Im besten Fall gibt es ein im Endeffekt lineares Geschichtsbild von stetig sich verbessernden Technologien und Ideen.

Doch jede Gesellschaft geht an ihrer Ungleichheit und ihren Widersprüchen zu Grunde. Das heißt auch für die moderne bürgerliche Gesellschaft, den Kapitalismus, dass er entgegen der Triumphstimmung seit den Neunziger Jahren nicht das Ende der Geschichte ist. Das zu erkennen ist nun auch der Sinn der Übung. Als Marxist*innen, die die Geschichte untersuchen, wissen wir um die Vorteile, die die Zivilisation gegenüber den Jahrmillionen des Jagens und Sammelns hat. Genauso erkennen wir: Solange es aber Klassen und Herrschaft gibt, solange also der Zugang zu diesen Errungenschaften ungleich verteilt ist, endet es jedes Mal in Zerstörung. Deswegen kann am Ende einer materialistischen Untersuchung der menschlichen Gesellschaft und Geschichte nur die Lehre stehen: Wir brauchen eine Auflösung dieser Widersprüche, eine klassenlose Gesellschaft. Wir brauchen den Kommunismus.

Gekürzter, ergänzter und bearbeiteter Text von klassengegenklasse.org

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