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Der Mythos um die „soziale” Marktwirtschaft

Der neoliberale Ludwig Erhard wird oft als “Gründungsvater” der Sozialen Marktwirtschaft bezeichnet, doch wie wahr ist das?

Seit 1948 sprechen wir davon, dass in Deutschland die „soziale Marktwirtschaft” eingeführt wurde. Wie Ludwig Erhards gleichnamiges Buch, in dem er das Prinzip der Sozialen Marktwirtschaft beschreibt und für sich beansprucht, soll es in dieser Form der Wirtschaft „Wohlstand für alle” geben. Doch was sagen die Statistiken dazu? Schauen wir uns an, wie der Wohlstand sich etwas nach der Wiedervereinigung (1991) bis 2014 verändert hat, wozu die Bertelsmann-Stiftung eine Studie (hier) durchgeführt hat. Die höchsten Einkommen hatten einen jährlichen Zuwachs um 1,3 %, der durchschnittliche Zuwachs hingegen lag bei 0,6 %, wobei die untersten 40% der Einkommensschicht davon fast gar nichts abbekamen. Es ist sogar so, dass die unteren 18 % Einkommensverluste hinnehmen mussten! Das ist definitiv nicht der “Wohlstand für alle”, von dem Erhard schrieb. Selbst die Bundeszentrale für politische Bildung schreibt (hier) über die soziale Marktwirtschaft, „[sie] ist in der tatsächlichen Ausgestaltung jedoch durch die wirtschaftstheoretischen Vorstellungen des Neoliberalismus […] geprägt”.

Nachdem wir nun den angeblichen „sozialen” Aspekt der „Sozialen Marktwirtschaft” begutachtet haben, kommen wir nun zur Ursprungsgeschichte, und wie die Bundesrepublik Deutschland mit Ludwig Erhard den Begriff fälschlicherweise für sich vereinnahmte.
Als das Ende des Zweiten Weltkriegs eintraf, wurde Deutschland durch die westlichen Alliierten in zwei Teile gespaltet. In Westdeutschland wurde im Juni 1948 die D-Mark eingeführt. Das Finanzvermögen wurde um fast 94 % reduziert, von 10 Reichsmark zu 0,65 D-Mark. Davon profitierten Immobilieneigentümer, Börsenspekulanten oder Unternehmer, wohingegen das einfache Volk, die Sparer, große Verluste hinnehmen mussten. Infolgedessen kam es durch Nachkriegsmangel zu einem Preisanstieg bis zu 200 % für Kleidungsmittel, aber auch Grundnahrungsmittel, eigentlich allem, was der Ottonormalverbraucher brauchte. Anstatt die Preise staatlich zu regulieren, wurden viele Regulierungen sogar aufgehoben! Es kam zu Aufständen, wobei der 28. Oktober 1948 dabei einen ersten Höhepunkt spielen wird. Es versammelten sich über 80.000 Menschen. Deutsche sowie amerikanische Polizisten setzten Tränengas, Bajonette und gesicherte Fahrzeuge ein, um gegen die Demonstranten vorzugehen. Am 12. November 1948 kam es dann zum wahren Höhepunkt. Rund 9 Millionen Menschen in ganz Deutschland starteten den vorerst letzten Generalstreik, obwohl sie nicht mal Geld bekamen, und weniger als 4 Millionen Deutsche in einer Gewerkschaft organisiert waren.
Dies war die Aufruhr, die die deutsche Politik aufweckte, und Erhard und seine Parteikollegen dazu bewegte, ihre Marktwirtschaft zumindest mit den Worten „sozial” anzumalen, es wurden aber auch gewisse Preisbindungen eingeführt.

Ursprünglich verwanden nämlich die SPD, weitere Oppositionelle sowie die Gewerkschafter den Begriff „Soziale Marktwirtschaft” gegen Erhard und Co., als Forderung. Nach dem Generalstreik versuchte Hermann Pünder (CDU), höchster Amtsträger in den Westzonen, das Image zu retten, und sprach davon, dass die Regierung „eine soziale Marktwirtschaft schaffen und betreiben” würde. Auch im ersten Wahlkampf der Bundesrepublik Deutschland eignete sich die CDU wieder fälschlicherweise den Begriff an. Erhard sprach davon, dass „nur die Marktwirtschaft sozial [wäre]”. Ein Vertreter des Arbeitnehmerflügels rettete ihn, indem er vor dem Wort Marktwirtschaft „sozial” zwischen schrie, als Korrektur zu Erhard.

Selbst im Vertrag von Lissabon (hier), einer der wichtigsten, wenn nicht sogar der wichtigste Vertrag der Europäischen Union, ist die Soziale Marktwirtschaft festgeschrieben. Die Vergangenheit wird wieder außer acht gelassen, und wie am Anfang des Artikels erklärt, ist auch die Umsetzung eine reine Lüge.
Doch die Menschen erkennen dies. 77 % der Deutschen sind sich laut einer Statistik des Statista Research Department (hier) bewusst, dass die Marktwirtschaft Arme ärmer macht und Reiche reicher.

Weitere Quellen:
Seniorenbüro Hamburg – Zeitzeugen
taz – 70 Jahre „soziale Marktwirtschaft”
die restlichen Quellen sind im Text unter dem Stichwort (hier) zu finden

2 Antworten auf „Der Mythos um die „soziale” Marktwirtschaft“

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